Meine Bilder sind „leere“ und „stille“ Bilder. H.M.
Ist es schlicht Bescheidenheit, wenn Horst Mensinger sagt, seine Bilder seien „still und leer“? Es wäre ihm zuzutrauen. Oder ist seine Behauptung als kunstpolitische Setzung zu verstehen, etwa in dem
Sinn, dass der Überflutung nur mit Zurücknahme und Konzentration begegnet werden könne? Auch das wäre ihm zuzutrauen. In aller Bescheidenheit – und nichts anderes geziemt einem Musiker, der über
Bilder nachdenkt – halte ich entschieden dagegen. Für mich sind diese Bilder weder still noch leer. Sie klingen und es ist ein voller Klang, den ich höre. Zugegeben: der Klang von leiser Fülle,
und diese Fülle wiederum ist von grosser Transparenz. Vielleicht kann Stille klingen, vielleicht gibt es eine erfüllte Leere. Oder noch näher zu Horst Mensingers Beschreibung: vielleicht sind die
Bilder tatsächlich still und leer, aber sie lassen mich in mir Klänge finden.
Was die Literatur betrifft, möchte ich unbedingt noch auf das Lesen japanischer Haiku-Gedichte hinweisen, denn auch
hier gibt es Gemeinsamkeiten mit gegenstandsloser und konkreter Malerei. H.M.
Es gibt Charakteristiken in Horst Mensingers Bildern, die ich nur bewundern, aber nicht weiter kommentieren kann, weil ich keine unmittelbaren Anknüpfungspunkte, weder in meiner Person, noch in
meinem Arbeitsfeld, der Musik, finde. Dazu gehören eine Beharrlichkeit in seinem Schaffen, die nicht rechthaberisch ist, und eine Geduld, die nicht temperamentlos ist. Es lässt sich dies aus seinen
Bildern nicht erkennen, nur erfahren. „Wer zur Kunst keine naive Beziehung hat, das heisst, wer nur durch Edukation dazu gebracht worden ist, Kunst für eine ernste Sache zu halten, wird sich nie
damit abfinden, dass das Kunstwerk mehr ist, als ein Anlass zur Interpretation. Es ist eine Existenz per se.“ Das hat Max Frisch geschrieben. Und das schlägt dann doch eine Brücke zur Musik. Die
Begriffslosigkeit der Bilder Horst Mensingers - die romantischen Dichter haben die Sprachlosigkeit der Musik hochgeschätzt - entzieht sie der Interpretation. Die Sprachlosigkeit der Bilder birgt ein
Geheimnis. Sie wissen über uns mehr, als wir über sie.
Manchmal treten die Farben erst nach längerem Schauen aus den Bildern heraus. H.M.
Erfahrung bedarf der Zeit. Horst Mensingers Bilder beanspruchen Zeitraum. Sie müssen sich im Raum ausbreiten können, sie verlangen eine gelassene Betrachtung. Hierin sind sie nun wahrhaft der
Zeitkunst Musik verwandt. Es ist nicht nur das Verweilen, welches sie einfordern, was ein – modisch gesprochen – performatives Element in die Kunstbetrachtung einbringt. Das bewusste Spiel
hauptsächlich mit dem Licht, welches Horst Mensingers Malweise anstrebt und erreicht, ergibt abgestufte Wechsel der Betrachtungsweisen. Der Dialog mit Licht und Raum und Zeit (zugegebenermassen
entgeht ihm kein Bild, aber er wird im Regelfall übertönt von der Auseinandersetzung mit der Bilddramaturgie zum Beispiel, oder Aussagen, die mit Begrifflichkeit und Gegenständlichkeit zu tun haben
können), dieser Dialog steht in Horst Mensingers Schaffen im Vordergrund und lässt einen ruhig atmen vor den Bildern.
Schicht für Schicht trage ich in Harz-Öl, neuerdings vorwiegend in Acryl-Emulsion gelöste Pigmente, meist in sehr dünnen Lasuren, auf grundierte oder rohe Gewebe auf. H.M.
Es klingt eine leise Verwandtschaft zu sakralen Fresken an, die den Kirchenraum und das Lichtspiel im Lauf der Tages- und Jahreszeiten reflektieren und in denen der Prozess der Alterung (der
künftigen Patina) vorausschauend mitgedacht ist. Solchen transzendentalen Aspekten geht in Horst Mensingers Bildern allerdings jegliches religiös-verallgemeinernde Moment ab. Der Dialog mit
Licht und Raum und Zeit ist aufs Individuum beschränkt. Auch über den Verweis schleicht sich keine Aussage ein: die Bilder verweisen letztlich auf sich selbst. „Die Poesie muss keine Massnahmen
ergreifen, sie muss nur Poesie sein.“ So schreibt Max Frisch.
Meine Harz-Öl-Bilder waren häufig wesentlich grossformatiger, die Farben waren extrem leuchtend und hochglänzend, wobei der Glanz aus der Tiefe, nicht von der Oberfläche kam, was sehr wichtig im
Zusammenspiel mit dem Aussenlicht war. Ich verwendete in der Regel nur reine Pigmente ohne Weissbeimischungen. H.M.
Das Spiel mit dem Licht setzt ein gründliches Handwerk voraus, eine grosse Investition in die Herstellung des Bildes, eine Menge Erfahrung. Und da ist wieder etwas, was den Musiker anspricht: der
Respekt vor dem Handwerk provoziert in der Musik nicht so schnell wie in anderen Künsten den Vorwurf des Kunstgewerblichen oder Akademischen. Er wird als Vorzug und Voraussetzung gehört und genossen.
Die irisierenden Klangwelten, welche beispielsweise Maurice Ravel zu erzeugen vermag, danken sich einer umfassenden Instrumentationstechnik, der genauen Kenntnis aller instrumentalen Möglichkeiten
und dem Erfahrungsschatz im Umgang mit Klangmixturen. Die Schwerelosigkeit ist das Ergebnis handgreiflicher Anstrengungen.
Neuerdings arbeite ich bevorzugt mit Acryl-Emulsionen. Durch Weiss-Beimischungen haben die Bilder eine klare, zarte Helligkeit. Kontrastverhältnisse verschwimmen immer mehr zu Gunsten von relativ
gleichen Tonwerten. H.M.
Die Fokussierung auf Klangfarben im kompositorischen Prozess lenkt die Aufmerksamkeit weg von der sprechenden melodischen Geste, vom Triebleben der Harmonik und von der Spannkraft vielstimmig
verklammerter formaler Konstruktionen. Es ist als ob der Komponist sich hinter die Musik zurückziehen würde, er schafft Distanz. Adorno hat bei Ravel von der Glasscheibe gesprochen, die die Veranda
vom Garten abschirmt. Da ist nicht ein „espressivo“ gewollt, ein einzigartiger Ausdruck, sondern das „dolce“ ist angestrebt. Der Klang klingt, die Musik erzählt von sich selber. Die Dichter sagen:
Die Sprache spricht. Und etwas Entsprechendes, meine ich, vollzieht sich in den Bildern Horst Mensingers.
Bei meiner Arbeit im Atelier und beim Betrachten meiner Bilder höre ich sehr häufig Neue Musik. Zum Beispiel die „Stille Musik: Lento für Violine und Cello“ von Alfred Schnittke. H.M.
Die Bilder von Horst Mensinger leuchten aus sich selbst heraus. Und um dies zu erleben - für den Musiker heisst das: den Klang der Bilder zu hören -, bedarf es der Ruhe und der Offenheit. Sind
deshalb die Bilder also doch „still“ und „leer“? Ich bin starrköpfig und rechthaberisch: sie klingen! Und auch wenn sich die Bilder ähneln, der Maler sich an einer Fragestellung abarbeitet, bleibt
der Klang immer einzigartig: mal warm, mal kühl, satt oder zerbrechlich, statisch oder pulsierend…
Dem Bergesecho
Das Ohr zuwendend lauscht dort
Die Vogelscheuche.
Dakotsu
Die Sprache muss versagen. Die Interpretation ist keine Hilfe, wo es um eine Existenz per se geht. Ich kann den spezifischen Klang einer Komposition nicht in Worte fassen, wie sollte ich es bezogen auf eines der Bilder von Horst Mensinger schaffen? Die gelassenen Betrachterinnen und Betrachter werden möglicherweise fündig und eloquent. Möglicherweise summen sie auch nur, wenn sie aus der Ausstellung wieder auf die Strassen zurückkehren.
Vermutlich hören sie einfach in sich hinein.
Zürich, November 2011 Prof. Dr. h.c. Daniel Fueter